Systemische Beratung

Systemische Beratung ist ein Begriff, der von vielen in der Rolle als Berater verwendet und von manchen auch missverständlich gebraucht wird. Manche setzen systemische Beratung nur mit Familienberatung gleich. Die Systemtheorie und die systemische Beratungsarbeit haben sich in unterschiedlichen Berufsgruppen, Weiterbildungen, im Coaching und für weitere Beratungsformate etabliert.

Systemische Beratung

Was sind die Grundprinzipien der systemischen Beratung?

Die Grundprinzipien der systemischen Beratung basieren auf der Annahme, dass Individuen Teil verschiedener Systeme sind, wie Familie, Arbeitsplatz und soziale Netzwerke. Probleme, Störungen und Lösungen werden durch die Dynamik dieser Systeme beeinflusst. Hier sind die Kernprinzipien:

Ganzheitlichkeit und Kontextbezogenheit

Anstatt individuelles Verhalten isoliert zu betrachten, berücksichtigt die systemische Beratung das gesamte System, in dem die Person eingebettet ist. Das Verhalten und die Erfahrungen eines Individuums werden als Teil eines größeren Netzwerks von Beziehungen verstanden.

Zirkularität

Systemische Beratung betrachtet Ursachen und Wirkungen nicht linear, sondern als zirkuläre Prozesse. Probleme werden oft als Teil von Rückkopplungsschleifen gesehen, die innerhalb des Systems entstehen.

Kommunikation

Die Art und Weise, wie Mitglieder eines Systems miteinander kommunizieren, ist zentral für die systemische Beratung. Es wird davon ausgegangen, dass viele Schwierigkeiten aus Kommunikationsstörungen resultieren.

Ressourcenorientierung

Systemische Beratung konzentriert sich auf die Stärken und Ressourcen der Klienten und deren Systeme, anstatt sich ausschließlich auf Probleme zu fokussieren. Der Ansatz ist lösungsorientiert und zielt darauf ab, die Selbstwirksamkeit der Klienten zu fördern.

Neutralität und Allparteilichkeit des Beraters

Der Berater nimmt eine neutrale, nicht wertende Haltung ein und ist allparteilich gegenüber allen Systemmitgliedern. Dies hilft, das Vertrauen aller Beteiligten zu gewinnen und effektivere Kommunikation zu fördern.

Kooperation und Partizipation

Die systemische Beratung ist kollaborativ; der Berater und die Klienten arbeiten gemeinsam an der Lösungsentwicklung. Die Klienten sind aktiv in den Beratungsprozess involviert und ihre Meinungen und Ideen sind essentiell für den Fortschritt.

Veränderungsdynamik

Es wird angenommen, dass kleine Veränderungen in einem Teil des Systems weitreichende Effekte im gesamten System haben können. Systemische Berater arbeiten daher oft an scheinbar kleinen, aber strategisch wichtigen Interventionen, um größere Veränderungen zu fördern.

Diese Prinzipien unterstreichen den interaktiven und dynamischen Ansatz der systemischen Beratung und ihre Fokussierung auf die Beziehungen und Wechselwirkungen innerhalb eines Systems.

Wie unterscheidet sich die systemische Beratung von anderen Beratungsformen?

Die systemische Beratung unterscheidet sich in mehreren Schlüsselaspekten von anderen Beratungsformen:

Fokus auf das System statt auf das Individuum

Während viele therapeutische Ansätze, wie die psychodynamische Therapie oder kognitive Verhaltenstherapie, sich primär auf das Individuum und dessen Innenleben oder Verhalten konzentrieren, legt die systemische Beratung den Schwerpunkt auf das Beziehungssystem, in dem das Individuum eingebettet ist. Es geht darum, wie Individuen miteinander interagieren und wie diese Interaktionen Probleme beeinflussen oder aufrechterhalten.

Zirkuläre Kausalität

Im Gegensatz zu anderen Ansätzen, die oft eine lineare Ursache-Wirkung-Beziehung annehmen, betont die systemische Beratung die zirkuläre Kausalität. Probleme werden als Teil eines zyklischen Prozesses gesehen, bei dem Ursache und Wirkung wechselseitig aufeinander einwirken.

Neutralität und Allparteilichkeit

Systemische Berater streben eine Position der Neutralität und Allparteilichkeit an, was bedeutet, dass sie keine Seiten in den Konflikten innerhalb des Systems wählen. Diese Herangehensweise ist in anderen therapeutischen Richtungen weniger ausgeprägt, wo Therapeuten möglicherweise eher direktive Rollen einnehmen oder spezifische Perspektiven fördern.

Lösungsorientierung

Obwohl viele moderne therapeutische Ansätze lösungsorientierte Techniken einbeziehen, ist die systemische Beratung besonders darauf ausgerichtet, praktikable Lösungen zu entwickeln, anstatt tiefer in die Problemanalyse oder die Vergangenheitsbewältigung einzutauchen. Der Fokus liegt darauf, was funktioniert, anstatt darauf, warum etwas ein Problem ist.

Einsatz von Reflexion statt Interpretation

Systemische Beratung vermeidet tiefgehende Interpretationen psychologischer Zustände oder unbewusster Motive, wie es in psychoanalytischen oder psychodynamischen Ansätzen üblich ist. Stattdessen wird Wert darauf gelegt, wie Klienten und ihre Systeme sich selbst und ihre Situationen wahrnehmen und interpretieren, um neue Sichtweisen zu fördern und Veränderungen zu erleichtern.

Verwendung spezifischer Techniken

Systemische Berater verwenden Techniken wie das zirkuläre Fragen oder das Reframing, um den Klienten zu helfen, ihre Probleme aus verschiedenen Perspektiven zu sehen und neue Lösungswege zu erkunden. Diese Techniken sind spezifisch für die systemische Beratung und unterscheiden sich von den in anderen Beratungsformen verwendeten Methoden.

Wie hat sich die systemische Beratung entwickelt?

Die systemische Beratung hat ihre Wurzeln in der Familientherapie, die sich in den 1950er Jahren entwickelte, und wurde maßgeblich durch Entwicklungen in der Systemtheorie, der Kybernetik und der Kommunikationstheorie beeinflusst. Die Entwicklung der systemischen Beratung lässt sich in verschiedene Phasen einteilen, wobei jeder Schritt durch Beiträge von Schlüsselfiguren und theoretischen Fortschritten geprägt wurde.

Wer sind Pioniere der systemischen Beratung?

Zu den Pionieren der systemischen Beratung zählen

  1. Gregory Bateson: Bateson war Anthropologe und Soziologe, dessen Arbeiten über Kommunikationstheorie und Kybernetik zweiter Ordnung entscheidend für die systemische Theorie waren. Er erforschte die Dynamik innerhalb von Systemen und die Bedeutung von Mustern und Kontext in der Kommunikation.
  2. Murray Bowen: Er entwickelte das Konzept der Familiensystemtheorie, die davon ausgeht, dass Familien als emotionale Einheiten funktionieren und dass Heilung durch das Verständnis von Familiendynamiken erreicht werden kann.
  3. Salvador Minuchin: Als Begründer der strukturellen Familientherapie fokussierte Minuchin auf die Interaktionen und Grenzen innerhalb von Familien und wie diese Strukturen psychische Probleme beeinflussen können.
  4. Virginia Satir: Bekannt für ihre Ansätze in der Familientherapie, konzentrierte sich Satir auf Kommunikationsmuster und Selbstwertgefühl innerhalb der Familie. Ihre Methoden waren stark darauf ausgerichtet, das Wachstum und die Entwicklung jedes Familienmitglieds zu fördern.
  5. Milan Systemic School: Diese Gruppe italienischer Therapeuten, darunter Mara Selvini Palazzoli, entwickelte Ansätze, die stark auf die Neutralität des Therapeuten und auf paradoxe Interventionen setzten.
  6. Gunther Schmidt: Er hat den systemischen Ansatz mit der Hypnotherapie von Milton H. Erickson verbunden und daraus das Konzept der Hypnosystemik entwickelt. Hypnosystemische Beratung nimmt alles in den Blick: die Kompetenzen der Systembeteiligten, die Gründe hinter (auch absurd wirkenden) Verhaltensweisen – die Veränderungen und die mit diesen verbundene Frage nach den Auswirkungen von Veränderung.

Wie haben sich Theorie und Praxis der systemischen Beratung über die Jahre verändert?

Frühe Entwicklung: In den Anfangsjahren konzentrierte sich die systemische Beratung vor allem auf die direkte Arbeit mit Familien und die Beobachtung ihrer Interaktionsmuster. Die Theorie war stark von der Kybernetik beeinflusst, die Feedback-Schleifen und zirkuläre Kausalitäten in den Mittelpunkt stellte.

Integration von Theorien: Über die Jahre integrierte die systemische Beratung weitere theoretische Rahmenwerke, einschließlich der Konstruktivismustheorie, die betont, dass Wirklichkeit subjektiv und durch soziale Interaktionen konstruiert ist. Diese Entwicklung erweiterte die Perspektiven auf Problemlösungen und die Art und Weise, wie Systeme betrachtet und analysiert werden.

Aktuelle Entwicklungen: In jüngerer Zeit hat sich die systemische Beratung weiter diversifiziert und umfasst nun Ansätze, die sich auf narrative Techniken, lösungsorientierte Kurztherapie und sogar integrative Ansätze stützen, die Elemente aus anderen therapeutischen Schulen aufnehmen. Die Praxis hat sich auch über den Rahmen der Familientherapie hinaus auf Organisationen, Schulsysteme und andere Gruppenstrukturen ausgeweitet.

Was ist ein System in der Definition von Niklas Luhmann?

Niklas Luhmanns Ansatz ist stark durch die Kybernetik zweiter Ordnung und die Systemtheorie beeinflusst und unterscheidet sich signifikant von anderen Auffassungen über Systeme.

Luhmann definiert ein System als eine komplexe Struktur, die sich durch die Unterscheidung von sich selbst und seiner Umwelt konstituiert und aufrechterhält. Dieses Konzept der „Autopoiesis“ (Selbst-Erzeugung) ist zentral für seine Definition von Systemen. Ein System besteht aus Elementen, die durch ihre Interaktionen das System konstituieren und gleichzeitig von der Umwelt abgrenzen. Für Luhmann sind Systeme operational geschlossen, was bedeutet, dass sie in der Lage sind, ihre Struktur durch die eigenen Operationen zu reproduzieren und zu erhalten.

  1. Autopoiesis: Systeme sind selbstreferentiell und selbstproduzierend. Sie produzieren und reproduzieren die Elemente, aus denen sie bestehen, durch ihre eigenen Prozesse. Diese Selbstproduktion ist zirkulär und schließt externe Einflüsse als determinierende Faktoren aus, auch wenn Systeme weiterhin offen für Energie, Informationen usw. sein können.
  2. Kommunikation als konstituierendes Element sozialer Systeme: In Bezug auf soziale Systeme sieht Luhmann Kommunikation, nicht Individuen, als grundlegendes Element an. Soziale Systeme bestehen aus Kommunikationen und deren Verknüpfungen. Die Menschen, die kommunizieren, gehören zur Umwelt des Systems.
  3. Operative Schließung und strukturelle Kopplung: Systeme sind operativ geschlossen, d.h., sie folgen ihrer eigenen Logik und Dynamik. Sie sind jedoch strukturell an ihre Umwelt gekoppelt, was bedeutet, dass sie durch externe Systeme irritiert oder stimuliert werden können, ohne direkt von ihnen gesteuert zu werden.
  4. Funktionale Differenzierung: Luhmann sieht moderne Gesellschaften als hochgradig differenziert in verschiedene funktionale Systeme wie Recht, Wirtschaft, Politik, Religion usw. Jedes dieser Systeme folgt seiner eigenen Logik und seinen eigenen Regeln und trägt zur Komplexität und Stabilität der Gesellschaft bei.

Diese Sichtweise eröffnet eine komplexe und oft herausfordernde Perspektive auf das, was ein System ist, und hebt die Vielschichtigkeit und Eigendynamik hervor, die Systeme in ihrer Interaktion mit der Umwelt zeigen. Luhmanns Theorie bietet tiefe Einsichten in die Eigenständigkeit und die geschlossenen Operationsweisen von Systemen, die sich von vielen anderen systemtheoretischen Ansätzen abheben.

Wie würde Luhmann systemische Konzepte im Jahr 2024 in die Organisationsberatung übernehmen?

Wenn Niklas Luhmann die Praxis der systemischen Organisationsberatung im Jahr 2024 konzipieren würde, würde er sich auf seine Theorie sozialer Systeme stützen, die eine einzigartige Perspektive auf Organisationen und deren Funktion in der Gesellschaft bietet. Luhmanns Ansatz zur Organisationsberatung würde sich wesentlich von konventionelleren Ansätzen unterscheiden und eine tiefgreifende Analyse der Kommunikationsstrukturen und Entscheidungsprozesse innerhalb der Organisation umfassen. Hier sind einige Kernpunkte, wie Luhmann die systemische Organisationsberatung gestalten könnte:

  1. Beobachtung der Kommunikationsmuster: Luhmann würde sich darauf konzentrieren, wie Kommunikation innerhalb der Organisation abläuft und wie Entscheidungen getroffen werden. Berater nach Luhmann würden beobachten, welche Kommunikationen rekursiv werden und sich zu Entscheidungsprämissen verdichten. Das Ziel wäre, Muster zu identifizieren, die sowohl funktionale als auch dysfunktionale Aspekte des organisatorischen Systems offenlegen.
  2. Analyse der System-Umwelt-Differenzierung: Luhmann würde die Organisation als ein autopoietisches System betrachten, das sich durch die Abgrenzung von seiner Umwelt definiert. Die Beratung würde darauf abzielen, wie die Organisation sich selbst von ihrer Umwelt unterscheidet und welche internen und externen Faktoren diese Differenzierung beeinflussen. Dies würde auch die Analyse umfassen, wie die Organisation auf Veränderungen in der Umwelt reagiert oder wie sie durch externe Störungen „irritiert“ wird.
  3. Förderung von Reflexivität: Ein zentraler Aspekt von Luhmanns Ansatz wäre, die Organisation dazu zu bringen, ihre eigenen Prozesse und Strukturen zu reflektieren. Dies umfasst eine tiefgehende Betrachtung ihrer Entscheidungsprozesse und der Prämissen, die diesen zugrunde liegen. Durch das Erhöhen der Selbstreflexivität könnte die Organisation adaptiver und flexibler in Bezug auf Veränderungen und Herausforderungen reagieren.
  4. Verständnis der operativen Schließung: Luhmann würde die Bedeutung der operativen Schließung betonen, also dass Organisationen nach ihren eigenen Regeln und Logiken operieren, die von außen nicht direkt verändert werden können. Beratungsansätze würden darauf abzielen, die Organisation zu befähigen, ihre eigenen Strukturen und Prozesse von innen heraus zu verändern, anstatt von außen aufgezwungene Lösungen zu implementieren.
  5. Management von struktureller Kopplung: Da Organisationen mit anderen Systemen in ihrer Umwelt strukturell gekoppelt sind, würde Luhmanns Beratungsansatz darauf abzielen, wie diese Kopplungen gestaltet werden können, um die Resilienz und Effektivität der Organisation zu verbessern. Dies könnte durch die Optimierung der Schnittstellen zu anderen Systemen wie Märkten, rechtlichen Rahmenbedingungen oder technologischen Entwicklungen geschehen.
  6. Umgang mit Komplexität und Unsicherheit: Luhmann würde betonen, dass Organisationen in einer komplexen und unsicheren Welt operieren. Beratungsstrategien würden darauf ausgerichtet sein, Komplexität zu managen, statt sie zu reduzieren, indem die Fähigkeiten der Organisation zur Komplexitätsbewältigung und zum Umgang mit Unsicherheiten gestärkt werden.

Wer sind die Experten bei der Bearbeitung eines Problems?

Die Experten in einem Unternehmen oder Team sind die Personen, die etwas als Problem erleben. Sie können Auskunft darüber geben, was sie sich als Mensch und als Person mit einer Aufgabe in der Verwaltung oder im Management wünschen, um gut arbeiten zu können und gesund zu bleiben.